Vergleich FZR 1000 3LE gegen R1 RN22
„R1? Neumodischer Schnickschnack!“, entfährt es dem FZR-Treiber mit einem verklärten Blick auf seine 1000er aus dem Jahr 1989. „Mit der FZR kannste immer noch jeder Kilo-GSXR-CBR-ZXR-R1 zeigen, wo der Hammer hängt“. Schnickschnack hat die betagte Dame wahrlich nicht zu bieten – heute. Damals vor 20 Jahren waren Fünf-Ventil-Technik und Exup-System der letzte Schrei, die Innovation schlechthin und die 143 PS schienen bar jeder Vernunft, wurden sie doch im Rahmen der freiwilligen Leistungskontrolle auf 100 PS abgeriegelt. Eben ein reinrassiger Supersportler. Die Sitzposition, gestreckt über den langen 19-Liter-Tank, vermittelt durchaus ein sportives Sitzgefühl, wenngleich vollkommen anders als auf der R1. Die gefühlte Haltung auf dem 20 Jahre jüngeren Bike erinnert eher ein wenig an Origami für Fortgeschrittene, ist aber tatsächlich viel angenehmer als sie aussieht. Mit ihren Ellipsoid-Scheinwerfern kommt die junge Japanerin wie Walt Disney's Gundel Gaukelei mit dezentem Silberblick daher. Ganz anders ihre Urahnin. Ihre Augen blicken unschuldig drein als könne sie kein Wässerchen trüben. Dieser brave Eindruck bleibt nach dem Anlassen der FZR erstmal bestehen, denn der Motor surrt im Leerlauf harmlos, fast unhörbar vor sich hin. Das Bild von der Unschuld vom Lande ändert sich aber so schnell wie es entstanden ist.
Eins zu null
Ab 3000 Umdrehungen schiebt eine imaginäre Hand unerwartet an. Ab 5000 Umdrehungen tauscht eine höhere Macht die Hand gegen eine Flugzeug-Turbine aus und ab 8000 Umdrehungen wird diese – gefühlt – durch einen Raketenantrieb ersetzt. Unglaublich, was in dieser alten Dame steckt. Hinter der großzügigen Scheibe ließe es sich wie beim Fernsehschauen recht gemütlich machen, wenn man sich bei einem Top-Speed von 270 bis 285 Stundenkilometern – so genau lässt sich das bei der springenden Nadel nicht sagen – nicht so höllisch konzentrieren müsste. Das augenscheinlich gewaltbereite Aggregat der R1 hingegen überrascht tatsächlich weniger. Der Big-Bang-Motor röchelt satt und respekteinflößend im Leerlauf. Fast hofft man, dass er nicht hält, was dieser atemberaubende Sound verspricht. Doch daraus wird nichts. Versprochen ist versprochen.
FZR: Viel Platz für Tacho, Drehzahlmesser und Temperaturanzeige. | R1: Noch mehr Infos auf noch weniger Raum. |
299 - nichts geht mehr
Bei 3000 Umdrehungen schiebt bereits – mit noch mehr Angstschweiß gefühlt – die Flugzeugturbine an und ab 7000 Umdrehung setzt scheinbar gleich ein ganzer Kernreaktor ein, während die V4-charakteristischen Vibrationen des Big-Bang-Motors von da an merklich abnehmen. Eine Tachonadel gibt es ja nicht mehr, dafür eine digitale Anzeige, die bei 299 Stundenkilometern stehen bleibt. Eins zu null für die R1. Trotz einer Sitzhöhe von gerade mal 77 Zentimetern, die einen sicheren Stand mit leicht angewinkelten Beinen ermöglicht, wird das Rangieren des 235 Kilogramm schweren FZR-Klotzes mit einem gigantischen Wendekreis von 6,58 Metern zu einem schweißtreibenden Unterfangen. Umso erstaunlicher ist die Handlichkeit, mit der sich der Fünf-Ventiler auf zeitgemäßen 17 Zöllern mit 120/180er Paarung durch enges Kurvengeläuf bewegen lässt. Dezenter Körpereinsatz vorausgesetzt, bewältigt das Wunderkind der Wendezeit Landstraßen dritter Ordnung geschmeidig wie eine Athletin aus der rhythmischen Sportgymnastik. Eine solch gute Figur macht die jugendliche R1 gewiss auch. Nur bedarf es bei ihr lediglich den Gedanken an die nächste Kurve. Sie wird quasi mit der Blickführung gelenkt. Mit 213 Kilogramm und einer Sitzhöhe von 81 Zentimetern glaubt man ein Fahrrad zu rangieren. Der Wendekreis ist mit 5,89 Metern vergleichsweise mickrig. Zwei zu null für die R1.
Showdown auf der Landebahn: Zukunft und Vergangenheit in der Gegenwart vereint. |
Patina: Wind, Wetter und Bremsflüssigkeit sorgen für nostalgisches Ambiente. |
Wunderkind der Wendezeit Bei der FZR muß man enorme Kräfte aufwenden, um die Vier-Kolben-Bremsanlage einigermaßen wirkungsvoll in Szene zu setzen. Ein wandernder Druckpunkt gehört zur FZR wie der Sonnenbrand zum Sonnenbad. Stahlflex-Leitungen sind zwar nicht der Weisheit letzter Schluss, sollen aber – ähnlich wie ein hoher Lichtschutzfaktor – sehr hilfreich
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und mit 120 Euro aus dem Zubehörhandel kein großer Aufwand sein. Tipps dazu gibt es auch unter www.fzr-forum.de. Während man bei der 20 Jahre alten Yamaha lediglich die Vorspannung einstellen kann, wartet die neue R1, vorne wie hinten, mit einer Vielfalt an Justier-Möglichkeiten auf. Vorne stellt man auf der linken Seite bequem die Druckstufe ein, auf der rechten Seite die Zugstufe. Drei zu null für die R1. Doch wer glaubt, das alte Eisen liege nun aussichtslos im Rückstand, hat noch nie versucht, eine Gepäckrolle auf dem Heck der modernen Superlativ-Sportlerin zu befestigen. Das geht. Bestimmt geht das. Mit viel Geduld und akribischer Vorbereitung.
Kein unnötiger Ballast
In diesem Zusammenhang sollte man bedenken: Ende der 80er Jahre war vom Trend zum Drittmoped noch nichts zu spüren. Wenn man sich für ein sportives, motorisiertes Zweirad entschied, dann musste es ebenso für alle anderen Lebenslagen herhalten. In dieser Zeit waren Gepäckhaken noch kein unnötiger Ballast im Kampf um das beste Leistungsgewicht.
Dieser Umstand jedenfalls bescherte der FZR ein sicheres und rasches Bepacken und damit das Gefühl, unterwegs gegen alle Unbilden des Lebens gewappnet zu sein. Heute sind Langstrecken das Terrain, auf dem sich die rüstige Dame schnell und sicher zu bewegen weiß - ohne dass ihr Fahrer nach 50 Kilometern mit Lockerungsübungen auf dem Moped beginnen muss. Die angenehm empfundene Reisegeschwindigkeit zwischen 180 und 220 Stundenkilometern lässt dann auch alle 200 Kilometer einen Tankstopp zu. |
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Nicht nur optisch ein großer Unterschied: 20 Jahre liegen zwischen den Bremsen. |
Ein Punkt für die FZR
Neuer Stand und damit auch endlich mal ein Punkt für die FZR: Drei zu eins für die R1. Trudelt man mit der Supersportlerin von 2010 am Bikertreff ein, empfangen einen schon mal neugierige bis skeptische Blicke. Getuschel über Größe des Angstrandes am Pneu, und dass nun mal nicht jeder eine R1 fahren kann, ist keine Seltenheit. Hält man mit der FZR – mit gleich großem Angstrand an der Pelle – vor der Würstelbude, blickt man nicht selten in freundliche Gesichter, die anerkennend irgendetwas von „Junge, du bist ja noch flott unterwegs mit der alten Dame. Das seh' ich schon an deinen Reifen“ faseln.Der sozio-kulturelle Punkt geht damit an die FZR. Was sich in 20 Jahren nicht geändert hat, ist der Verzicht auf einen Hauptständer. Schräglagenfreiheit sticht damals wie heute das Kettenspannungsbedürfnis auf freier Wildbahn. Die Ölkontrolle per Sichtglas ist an der R1 ein Kinderspiel und artet nicht mehr, wie bei der alten Kilo, in einen gefährlichen Balance-Akt aus, weil das Ölauge so ungünstig angebracht ist, dass man sich niederknien muss, um den Ölstand korrekt ablesen zu können. Der Oscar in der Kategorie "Praktische Handhabe" geht somit an die R1.
Nur bis zur Eisdiele „Höchstens bis zur nächsten
Eisdiele. Wenn sie nicht weiter als 50 Kilometer enfernt ist“,
kommentiert Sabine aus dem Sauerland die Soziatauglichkeit der
schnellen Alten. Annette aus Bochum, die viel und gerne auf dem
Soziussitz mitfährt, sieht das ähnlich: „Dadurch, dass man auf
den modernen Rennsemmeln höher sitzt als der Fahrer, ist der
Kniewinkel nicht so eng. Der ist auf der FZR schon sehr extrem“.
Fünf zu zwei für die R1. |
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Mode-Schalter für die R1, Choke-Hebel für die FZR. |
Charmanter Schalter
Zeitgemäß die Formen und Linien der R1. Vor 20 Jahren galt das auch für die FZR |
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